Newsletter – Jahresrückblick und Ausblick auf 2023

Newsletter - Jahresrückblick und Ausblick auf 2023

30. January 2023

Liebe Leser*innen,

die jüngste Debatte infolge der Silvesternacht zeigt, wie schnell Menschen unter Generalverdacht gestellt werden und sich ein zutiefst rassistischer Diskurs entlädt.

Am 11. Januar veröffentlichte Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Beauftragte für Antirassismus den ersten Lagebericht „Rassismus in Deutschland: Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen“ (Veröffentlichung am 11. Januar 2023), der Hoffnung macht. Deutlich wird mit dem Bericht, worum es bei der Bekämpfung von Rassismus geht und welche Aufgaben vor uns liegen. „Wir müssen Rassismus konsequent bekämpfen, das ist systemrelevant für unsere Demokratie. Denn alle müssen hier sicher, in Würde und mit gleichen Chancen leben.“, so die Staatsministerin.

CLAIM begrüßt den ersten Lagebericht, der sowohl institutionellen als auch strukturellen Rassismus in den Fokus nimmt und die unterschiedlichen Ausformungen von Rassismus explizit adressiert. Dass antimuslimischer Rassismus neben weiteren Rassismen in einem Bericht der Bundesregierung ausführlich und explizit adressiert wird, ist ein Novum. Was nun folgen muss, ist eine umfängliche und integrierte Strategie gegen die Rassismen in unserer Gesellschaft: ein neu aufgesetzter und längst überfälliger verbindlicher nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, der von der Zivilgesellschaft schon lange gefordert wird und vom gesamten Bundeskabinett mitgetragen wird (zur Pressemitteilung).

Warum gehandelt werden muss, zeigt nicht nur die jüngst rassistische Debatte, sondern auch Studien. Die letzte Leipziger Autoritarismus-Studie belegt, trotz einer sinkenden Zahl von Menschen mit geschlossenem rechtsextremen Weltbild, eine Kontinuität bei Phänomenen wie Muslimfeindlichkeit, Antiziganismus sowie an Schuldabwehr. Des Weiteren zeigt die DeZIM-Studie „Rassistische Realitäten“, dass die Mehrheitsgesellschaft antimuslimischen Rassismus deutlich seltener als solchen erkennt, als ihr das etwa bei Anti-Schwarzen-Rassismus gelingt.

Umso wichtiger erscheint vor diesem Hintergrund die Arbeit, die CLAIM seit nunmehr fünf Jahren leistet. Und umso mehr freuen wir uns, dass wir 2022 fünf neue Mitglieder für die CLAIM-Allianz gewinnen konnten, um gemeinsam Kräfte im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus zu bündeln. Umso erfreulicher auch, dass der Aufbau eines Community-basierten Monitorings und einer Verbundstruktur aus Opferberatungs- und Antidiskriminierungsstellen mit einheitlichem Erfassungssystem voranschreitet. Denn nur auf diese Weise sind u.a. die Alltags-Rassismen gegen muslimisch gelesene Personen zu erfassen und sichtbar zu machen. Gewohnt publikumswirksam werden wir in der diesjährigen Aktionswoche gegen antimuslimischen Rassismus im Vorlauf zum 1. Juli mit unseren inzwischen 50 Mitgliedern wieder bundesweit sensibilisieren, aufklären und mobilisieren. Die Aktionswoche wird außerdem der passende Rahmen sein, um unser erstes zivilgesellschaftliche Lagebild zu Islam- und Muslimfeindlichkeit sowie antimuslimischen Rassismus zu veröffentlichen.

Eine Rückschau auf vergangene Aktivitäten sowie ein Ausblick auf anstehende Veranstaltungen, Publikationen und weitere Meilensteine unseres wachsenden Netzwerkes soll Euch dieser Newsletter nun geben. Wir freuen uns über Euer Interesse und wünschen Euch für das neue Jahr einen Optimismus und eine nicht nachlassende Resilienz im gemeinsamen Kampf gegen Rassismus.

Viel Spaß beim Lesen, wünscht Euer CLAIM-Team!

CLAIM feiert fünfjähriges Jubiläum beim Netzwerktreffen

CLAIM-Allianz

CLAIM-Allianz feiert fünfjähriges Jubiläum beim Netzwerktreffen

Auf unserem sechsten Netzwerktreffen feierten wir nicht nur mit rund 90 Vertreter*innen der CLAIM-Allianz unser fünfjähriges Bestehen, sondern tauschten uns auch mit Projektpartner*innen und Politiker*innen aus ganz Deutschland, darunter die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, Reem Alabali-Radovan, über Strategien im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus aus. Die Staatsministerin betonte die zentrale Rolle der Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft in diesem Kontext.

Ende Juni durften wir uns dann über die Einladung zum diesjährigen NETZZ Community Event freuen, wo wir mit der Journalistin Melina Borčak und Psychotherapeutin Dorothee Scholz über die Auswirkungen von Pandemie und Krieg auf unsere Arbeit diskutierten sowie die Themen benannten, denen sich Politik und Zivilgesellschaft widmen müssen, damit mehrfach marginalisierte Communities auch in Krisenzeiten nicht zurückgelassen werden.

In unserem Bestreben, der Diskriminierung von muslimischen oder als muslimisch gelesenen Menschen entgegenzuwirken und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu verstärken, kann die CLAIM-Allianz seit vergangenem Jahr auf fünf neue Mitstreiter zählen.

Herzlich willkommen „Türkeistämmige Bürger*innen in NRW für Demokratie und Teilhabe“, „Couragiert! Gemeinsam gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“ und „Zentrum für intersektionale Gesundheit Holla e.V“. sowie „Schwarze Schafe e.V.“.

Im Bild Rima Hanano, Leitung CLAIM, mit Kulturstaatsministerin Claudio Roth bei der Jahrestagung der "Initiative Kulturelle Integration"

Jahrestagung der „Initiative Kulturelle Integration“

Die Jahrestagung der Initiative Kulturelle Integration „Zusammenhalt gegen Rassismus“, auf der wir mit einem Stand vertreten waren, nutzte CLAIM zum Austausch mit Akteur*innen wie Kulturwissenschaftlerin Dr. Mithu M. Sanyal oder dem Soziologen Prof. Aladin El-Mafaalani.

Im Bild Hanna Attar, Projektmanagerin CLAIM

International vernetzt und gefragt

Doch CLAIM ist nicht nur bundesweit hervorragend vernetzt, sondern auch auf internationaler Ebene, wie etwa die Einladung zum European Anti-Racism Summit 2022 (Anti-Rassismus-Gipfel) der Europäischen Kommission nach Brüssel zeigt. Europäischer Besuch war dagegen im September angesagt, als Vertreter*innen von Equinet (European Network of Equality Bodies) uns in unseren Räumlichkeiten besuchten, um mehr über die Arbeit von CLAIM zu erfahren.

Seit November gehört CLAIM außerdem dem europäischen Netzwerk Facing Facts an, das sich aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Behörden aus 15 Ländern wie z.B. dem österreichischen Innenministerium oder dem deutschen Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) zusammensetzt. CLAIM unterstützt Facing Facts dabei, die Erfassung von Hasskriminalität in Europa zu standardisieren, ihre Ursachen und Auswirkungen sichtbarer zu machen sowie notwendige Kooperationen dafür aufzuzeigen.

Auch an der Überarbeitung der Leitlinie zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus in Europa durch die Europäischen Kommission wirkte CLAIM mit.

Publikationen

Kurzstudie veröffentlicht

In Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Expert*innen hat CLAIM im vergangenen Jahr die Kurzstudie „Zivilgesellschaftliche Erfassungs- und Auswertungsverfahren zu Rassismus und Diskriminierung“ veröffentlicht. Linda Hyökki, Dr. Sanja Bilić sowie Dermana Kurić konzentrierten sich in ihrer Befragung auf Datenerhebungssysteme von Melde- und Beratungsstellen in Deutschland und dem Vereinigten Königreich.

Panel-Talk auf der KNW-Fachtagung

Kompetenznetzwerk

KNW-Fachtagung: „Vom Dunkelfeld zum Hellfeld“

„Vom Dunkelfeld zum Hellfeld“ – so der Titel der diesjährigen Fachtagung des Kompetenznetzwerkes Islam- und Muslimfeindlichkeit am 17. November 2022. Eingehend beleuchtet wurden Chancen und Herausforderungen, die die Erfassung und Dokumentation von Rassismen in Deutschland mit sich bringen.
Nach Grußworten der Bundesfamilienministerin Lisa Paus sowie der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Ferda Ataman, sprach Michaela Moua, EU-Anti-Rassismus-Koordinatorin, in ihrer Keynote über die elementare Rolle, die der Zivilgesellschaft im Kampf gegen Rassismus zuteil werde, sowie über die Nähe zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zu den Communities und das dadurch gewonnene Vertrauen. Während Dr. Doris Liebscher, Leiterin Ombudsstelle für das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz, das Wirken von Rassismus auf institutioneller Ebene, insbesondere in der Justiz, beleuchtete, stellte Dermana Kurić die von CLAIM im Rahmen des Kompetenznetzwerks Islam- und Muslimfeindlichkeit (KNW IMF) in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Zivilgesellschaftliche Erfassungs- und Auswertungsverfahren zu Rassismus und Diskriminierung“ vor (s.o.). Im Panel-Talk mit Dr. Sanja Bilić (European Forum of Muslim Women), Sabrina Saoudi (OSZE), Sabrina Wulff (Algorithm Watch) und Nevena Peneva (European Fundamental Rights Agency) wurde diskutiert, wie multisektorale Kooperation die Unterstützung von Betroffenen von Rassismus und die Erfassung von Daten zu Diskriminierung verbessern kann.
Alle Aufzeichnungen der Fachtagung können hier angesehen werden.

Plakat der Aktionswoche gegen Rassismus 2022

Ausblick

Aktionswoche gegen antimuslimischen Rassismus 2023

Besonders freuen wir uns auf die bundesweite Aktionswoche gegen antimuslimischen Rassismus, die wir im Vorfeld des 1. Julis – dem Tag gegen antimuslimischen Rassismus, umsetzen. In der Zeit wird eine bundesweite Plakatkampagne u.a. in Köln und Berlin auf unsere Anliegen aufmerksam machen. Auch im Netz werden wir durch Online Mitmach-Möglichkeiten die breite Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und anregen, sich mit eigenen verinnerlichten Rassismen gegenüber Muslim*innen bzw. muslimisch gelesenen Menschen auseinanderzusetzen und diese kritisch zu hinterfragen. Wir wollen deutlich machen: Antimuslimischer Rassismus ist kein Randphänomen, sondern ein alltägliches, tief in der Gesellschaft verwurzeltes Problem.

Im vergangenen Jahr haben sich stolze 170 Projekte und Vereine aus ganz Deutschland mit verschiedenen Aktionen beteiligt. Mal sehen, ob wir das 2023 noch toppen können? Wenn auch Ihr eine Veranstaltung für die Aktionswoche plant, sprecht uns einfach an, und wir nehmen sie in unseren Veranstaltungskalender auf.

Und wer Interesse an einem Materialien-/Aktionspaket hat, den nehmen wir gerne in unseren Verteiler auf. Einfach eine kurze E-Mail schreiben an: info@claim-allianz.de

Übrigens: Im Zuge der Aktionswoche wird CLAIM erstmalig einen Lagebericht zu antimuslimischen Rassismus in Deutschland herausgeben. Neben der Veröffentlichung erster Fallzahlen zum Themenbereich werden darin unterschiedliche Autor*innen über antimuslimischen Rassismus zu Wort kommen.

Rückblick: Die Antirassismusbeauftragte des Bundes, Reem Alabali-Radovan, hat 2022 die Schirmherrschaft über die Aktionswoche übernommen, was uns freut und ehrt, ebenso wie die Beteiligung einer ganzen Reihe von Politiker*innen: Claudia Roth (Staatsministerin für Kultur und Medien), Hakan Demir (SPD), Juliane Seifert (Staatsministerin im BMI), Helge Lindh (SPD), Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), Misbah Khan (Die Grüne), Arif Taşdelen (SPD) sowie Dr. Daniel Höltgen (Sonderbeauftragter des Europarats für Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit). Daneben haben weitere bekannte Persönlichkeit im Rahmen der Aktionswoche ein wichtiges Zeichen gegen antimuslimischen Rassismus gesetzt, darunter Benaissa Lamboural (Rebell Comedy), Die Datteltäter (YouTuber) Ozan Zakariya Keskinkılıç (Politikwissenschaftler/Autor), Dr. Aladin El-Mafaalani (Soziologe) oder Serpil Unvar (Ferhat Unvar Initiative).

Online-Befragung „Antimuslimischen Rassismus erkennen und handeln“

Im Rahmen des Projektes „Antimuslimischen Rassismus erkennen und handeln“ werden wir in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut IMAP eine deutschlandweite Umfrage durchführen, die als Bedarfsanalyse von Betroffenen dienen soll. Wir möchten wissen: Wie können wir Betroffene mittelbar erreichen? Wie können wir sie dazu ermutigen, Diskriminierung sichtbar zu machen und Beratung konstruktiv zu sehen, emotional anzuerkennen und dann auch in Anspruch zu nehmen? Welche Barrieren gibt es, die Betroffene bislang daran hindern, Unterstützung anzunehmen? In den Städten Berlin und Köln/Düsseldorf werden zusätzlich qualitative Interviews durchgeführt werden.

Wer an einer Online-Befragung oder an einem qualitativen Interview teilnehmen möchte, wendet sich bitte per Email an Hanna Attar (ha@claim-allianz.de). Vielen Dank fürs Mitmachen!