Pressemitteilung – Offener Brief: 26 Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und Praxis sowie 37 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern die Einrichtung einer Expert*innenkommission „Antimuslimischer Rassismus“
Offener Brief: 26 Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und Praxis sowie 37 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern die Einrichtung einer Expert*innenkommission „Antimuslimischer Rassismus“
19. Juni 2019
Berlin, 19.06.2019 – Angesichts der alltäglichen Gewalt gegen Muslim*innen und Menschen, die als solche wahrgenommen werden sowie gegen muslimische Einrichtungen, wenden sich zivilgesellschaftliche Organisationen und Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und Praxis in einem offenen Brief an die Bundesregierung und fordern zum Handeln auf.
CLAIM und seine Allianzpartner sowie Akteur*innen aus Wissenschaft und Politik, darunter Prof. Dr. Naika Foroutan (Direktorin BIM und Leiterin DeZIM der Humboldt-Universität zu Berlin), Katarina Niewiedzial (Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration), Christine Buchholz MdB (DIE LINKE), Filiz Polat MdB (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ansprechpartnerin für die Belange des Islam), Claudia Roth MdB (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Ruprecht Polenz (MdB von 1994-2013, CDU), Prof. Barbara John (Vorstandsvorsitzende Der Paritätische Berlin), Prof. Dr. Werner Schiffauer (Kulturwissenschaftler, Ethnologe, Publizist), Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu (Universität Bremen, Vorsitzende des Rats für Migration e.V.), Murat Gümüs (Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e. V.), Aiman A. Mazyek (Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland e.V.), sowie viele weitere unterzeichnende Expert*innen, Organisationen und Netzwerke fordern die Einrichtung einer Expert*innenkommission „Antimuslimischer Rassismus“.
Nina Mühe, Projektleiterin von CLAIM, der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit mahnt: „Wir sind in großer Sorge angesichts der islamfeindlichen und antimuslimischen Einstellungen, die sich in Deutschland seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau befinden. Muslim*innen werden aber nicht nur durch islamfeindliche Debatten ausgegrenzt und verletzt. Immer mehr Menschen sehen sich leider durch anhaltende antimuslimische Diskurse auch ermutigt, Muslim*innen und Menschen, die sie für solche halten, zu beleidigen, zu diskriminieren oder sogar tätlich anzugreifen, wie die aktuellen Statistiken zu islamfeindlichen Straftaten zeigen. In der Einrichtung einer Expert*innenkommission sehen wir einen ersten Schritt, auch auf Bundesebene einen Beitrag dazu zu leisten, dass antimuslimischer Rassismus in Deutschland nachhaltig bekämpft und Ressentiments gegenüber Muslim*innen der (gesellschaftliche) Nährboden entzogen wird.“
Das breite Bündnis aus Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtverbänden, Beratungsorganisationen, Politiker*innen sowie Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Bildungspraxis fordert die Einrichtung einer unabhängigen Expert*innenkommission „Antimuslimischer Rassismus“, die im Einzelnen folgende Aufgaben erfüllen soll:
1. Die Expert*innenkommission hat zur Aufgabe sich mit den Erscheinungsformen von Islam- und Muslimfeindlichkeit/ antimuslimischem Rassismus auseinanderzusetzen.
2. Die Expert*innenkommission hat zur Aufgabe eine Bestandsaufnahme zu Erscheinungsformen und Folgen von antimuslimischem Rassismus in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen durchzuführen und wissenschaftliche Expertisen zur Situation von Muslim*innen in Deutschland zu entwickeln. Erforderlich ist eine Ausformulierung wissenschaftlicher Fragestellungen und Arbeitsaufträge insbesondere in den Bereichen:
– Datenerfassung, Dokumentation und Auswertung islamfeindlich/antimuslimisch motivierter Straftaten
– Antimuslimischer Rassismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit in den Medien
– Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt
– Diskriminierung im Bildungswesen
– Diskriminierung bei der Wohnungssuche
3. Die Expert*innenkommission muss handlungsbasierte Strategien entwickeln, die dem Phänomen der wachsenden Islam- und Muslimfeindlichkeit/ des antimuslimischen Rassismus intersektional sowie im Zusammenspiel mit anderen Formen von Diskriminierung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit etwas entgegensetzen und als konkrete Empfehlungen für Bund und Länder dienen.
4. Die Expert*innenkommission soll einen umfassenden Bericht zu Fragen der Diskriminierung und zur Umsetzung der Gleichberechtigung von Muslim*innen in Deutschland mit konkreten Arbeitsaufträgen erarbeiten; dieser Bericht soll die Grundlage für die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus durch Bund, Länder und Zivilgesellschaft bilden.
Die Forderung nach einer Expert*innenkommission ist flankierend zur Forderung nach einer/einem Beauftragten gegen antimuslimischen Rassismus zu sehen. Die Einrichtung einer Expert*innenkommission stellt einen ersten Schritt dar, um das Ausmaß des antimuslimischen Rassismus zu erfassen. Weitere Maßnahmen werden erforderlich sein, um Muslim*innen vor Diskriminierung und Rassismus zu schützen.
Der offene Brief wurde initiiert von CLAIM und seinen Allianzpartnern. Den offenen Brief sowie alle weiteren Unterzeichnenden finden Sie unter: https://www.claim-allianz.de/aktuelles/news/offener-brief/
Hintergrund: Diverse Umfragen und Studien belegen, dass sich islamfeindliche und antimuslimische Einstellungen in Deutschland seit Jahren auf einem hohen Niveau bewegen: 2015 sagten 57 Prozent der nicht-muslimischen Befragten einer Studie der Bertelsmann Stiftung, dass sie den Islam für bedrohlich oder sehr bedrohlich halten.
Im Jahr 2017 sind laut Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 1.075 islamfeindliche Straftaten zu verzeichnen gewesen. Laut der Mitteilung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat wurden im Jahr 2018 910 islamfeindliche Straftaten gezählt; die Zahl der dabei Verletzten hat deutlich zugenommen und lag 2018 bei 74 Personen (2017 waren es noch 56). Es ist davon auszugehen, dass die offizielle Statistik dabei noch nicht das wahre Ausmaß des antimuslimischen Rassismus abbildet.