CLAIM im Blick: das Aktionsbündnis muslimischer Frauen

CLAIM im Blick: das Aktionsbündnis muslimischer Frauen

14. Januar 2019

von CLAIM

Das Aktionsbündnis Muslimischer Frauen (AmF) setzt sich für Empowerment muslimischer Frauen und Themen wie Geschlechtergerechtigkeit ein. Im Interview mit CLAIM spricht Gabriele Boos-Niazy, Gründungsmitglied des Aktionsbündnis und seit 2009 im Vorstand des Vereins, über ihre Arbeit. Das AmF ist eine partei- und verbandsunabhängige, bundesweite Lobbyorganisation für die Rechte und Interessen muslimischer Frauen in Deutschland.

Gabriele Boos-Niazy / Foto: Laurent Hoffmann

Das AmF sieht sich als Interessensvertretung muslimischer Frauen gegenüber der Politik, der deutschen Öffentlichkeit und innerhalb der muslimischen Community. Wie gelingt das, wenn es nicht „die“ muslimische Frau gibt?

Na ja, das gelingt so, wie bei allen anderen Gruppen, die sich als Interessenvertretungen sehen, auch, z.B. den Gewerkschaften. Ich denke, keiner zweifelt daran, dass sie die Interessen von Arbeitnehmer*innen vertreten, auch wenn nicht alle Berufstätigen dort Mitglied sind.

In erster Linie vertreten wir aber natürlich die Interessen unserer Mitglieder, d.h. wir bearbeiten die Themen, die sie bewegen und die sie in ihrem Alltag betreffen. Wie bei allen Interessengruppen ist es natürlich so, dass man sich erst dann zusammenschließt, wenn es eine bestimmte Notwenigkeit dafür gibt. Entweder, wenn man sich gegen etwas wehren will oder wenn man nur gemeinsam ein bestimmtes Ziel erreichen kann, wie z.B. den Bau eines neuen Schwimmbades oder Ähnliches.  Ein anderer Grund kann sein, dass man sich persönliche Vorteile davon verspricht, Teil einer Gruppe zu sein. So, wie die Mitglieder von beruflichen Netzwerken vom Austausch profitieren.

Das AmF deckt eigentlich alle diese Aspekte ab. Wir haben einen Mailverteiler, in dem Informationen gepostet werden aber auch die Mitglieder untereinander Kontakt aufnehmen oder Fragen stellen können, Stellenangebot veröffentlicht werden usw.. Auf der anderen Seite äußern wir uns aber auch nach außen, wenn es z.B. um politische Debatten oder Gesetzesvorhaben oder gerichtliche Urteile geht, die unseren Alltag betreffen.

Das Thema „muslimische Frau“ ist ein gesellschaftliches Dauerthema. Die einen glauben „sie“ befreien zu müssen, die anderen halten sie für militant. Es wird viel über Musliminnen gesprochen, aber wenig mit ihnen. Noch seltener werden Musliminnen von sich aus gehört. Wie verschafft ihr euch Gehör?

Wir versuchen, uns auf unterschiedlichen Wegen Gehör zu verschaffen. Wir schreiben Artikel und Buchbeiträge, kontaktieren Journalist*innen, Politiker*innen, und Wissenschaftler*innen wenn sie sich zu Themen, die für uns wichtig sind, geäußert haben. Wenn es größere bzw. länger andauernde Debatten gibt, verfassen wir Stellungnahmen, die wir dann auch gezielt verschicken und auf unserer Webseite oder bei Facebook veröffentlichen. Wir besuchen Veranstaltungen und stehen als Referentinnen oder Podiumsteilnehmerinnen zur Verfügung. Wichtig ist uns auch der Kontakt mit nicht-muslimischen Organisationen, mit denen wir gemeinsame Interessen haben. Wenn es z.B. um die Ungleichbehandlung von Frauen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen geht, ziehen wir ja durchaus an einem Strang. Es ist ja nicht so, als hätten muslimische Frauen völlig andere Probleme als nicht-muslimische Frauen. Deshalb ist unsere Mitgliedschaft im Deutschen Frauenrat – der größten Lobbyorganisation für Frauen – auch ein wichtiger Schritt gewesen, um mehr Gehör zu finden.

Es ist ja nicht so, als hätten muslimische Frauen völlig andere Probleme als nicht-muslimische Frauen
Gabriele Boos-Niazy, AmF

Ihr habt mehrere Stellungnahmen zu sogenannten „Kopftuch-Urteilen“ verfasst. Kannst du hierzu Eure Position zusammenfassen?

Die Hauptrolle spielen Artikel 3 und 4 Grundgesetz. Das Tragen eines Kopftuches fällt unter den Schutz des Artikel 4 Grundgesetz und der bloße Anblick einer Kopftuchträgerin ist kein Eingriff in die positive Religionsfreiheit desjenigen, der ihr begegnet oder der von ihr unterrichtet wird. Deshalb wiegt das Recht darauf, eine religiös motivierte Bekleidung tragen zu dürfen, schwerer, als der Wunsch, vom Anblick einer Kopftuchträgerin verschont zu bleiben. Der Dreh- und Angelpunkt bei einer Beurteilung oder Bewertung eines Menschen ist sein Handeln und nicht sein Aussehen, das gilt auch im Beruf. Jeder kann nur an seinem Verhalten gemessen werden, nicht an dem, was andere denken, wie er möglicherweise sei oder welche Motive er hätte. Ich glaube, jeder würde es sich verbitten, wenn er einfach so etikettiert und dann „aussortiert“ wird ohne, dass er sich irgendetwas hat zuschulden kommen lassen. Genau das aber war die Grundlage der Kopftuchverbotsgesetze und sicher einer der Gründe, warum sie verfassungswidrig sind. Dass das Wort Kopftuch in den Gesetzestexten nicht vorkommt, soll den Anschein erwecken, dass ein Verbot alle gleichermaßen trifft, aber wer die Debatte verfolgt hat und die Parlamentsprotokolle gelesen hat, hat gesehen, dass die Neutralität nur geheuchelt ist. Das Ziel war es, ausschließlich diejenigen zu treffen und auszugrenzen, die nicht ins eigene Weltbild passen.

Artikel 3 GG verpflichtet den Staat dazu, Strukturen zu beseitigen, die der Gleichstellung von Mann und Frau im Weg stehen. Kopftuchverbote tun das Gegenteil: Sie treffen ausschließlich Frauen und zwar ausgerechnet die, die ihre „Bringschuld“ beglichen haben. Sie haben sich angestrengt, sich trotz oft erlebter Diskriminierung in der Schule und im Studium nicht entmutigen lassen und haben darauf vertraut, dass die Leistung zählt. Es ist nicht zu rechtfertigen, ihnen jetzt die Früchte ihrer Arbeit vorzuenthalten. Dafür gibt es keine logischen Argumente. Es ist bitter, das zu sagen, aber Verbote wurden immer erst dann geschaffen, wenn kopftuchtragende Frauen in Berufen aufgetaucht sind, in denen man mit ihnen nicht gerechnet hat. Das zeigt deutlich, worum es hier eigentlich geht: Um die Ablehnung derer, die auch teilhaben wollen an den wirtschaftlichen Ressourcen und an der Macht. Das hat die Soziologin Birgit Rommelspacher schon vor Jahrzehnten geschrieben und Aladin El-Mafaalani bringt das in seinem aktuellen Buch „Das Integrationsparadox“ sehr anschaulich auf den Punkt.

Ihr widmet Euch in Eurer Arbeit dem Empowerment muslimischer Frauen und Themen wie Geschlechtergerechtigkeit. Welche Resonanz hat Eure Arbeit einerseits in der muslimischen Community und andererseits in der Mehrheitsgesellschaft?

Die Frage ist schwierig zu beantworten, denn weder die „muslimische Community“ noch „Mehrheitsgesellschaft“ ist homogen. Es ist schon so, dass wir aus der muslimischen Community mehr positive Resonanz bekommen, vor allem von denen, die mit uns das gleiche Feld beackern, also sich gegen Ungleichbehandlung und Diskriminierung wehren. Bei der Mehrheitsgesellschaft gibt es Unterstützung von denen, die verstanden haben, dass es auch zur Freiheit gehört, Entscheidungen zu treffen, die vielleicht nicht alle gut finden. Gegenwind gibt es vor allem von denen, die Integration und Assimilation verwechseln und sich persönlich angriffen fühlen, wenn man ihre Auffassungen nicht teilt. Diese Einstellung gibt es aber leider auch bei einer bestimmten Gruppe von Muslimen.

Welchen Mehrwert versprecht ihr Euch von der Vernetzung über CLAIM für Eure Arbeit?

Wir wussten zwar, dass in dem Feld, in dem wir arbeiten, auch noch andere aktiv sind, aber für eine systematische Suche nach den anderen Aktiven haben wir nicht die notwendigen personellen Kräfte. Die Arbeit von CLAIM erleichtert deshalb die Situation für uns sehr, weil allein die Tatsache, dass wir Teil eines Netzwerks sind, Kontakte erleichtert. Man muss nicht lange recherchieren und sich dann erklären, sondern ein Grundkonsens ist einfach schon gegeben. Das ist die eher organisatorische Seite, aber es gibt auch eine – wie soll ich sagen – psychische. Als Muslime sind wir in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten, uns für alles Mögliche rechtfertigen und erklären zu müssen. Wenn man über Diskriminierung gesprochen hat, wurde einem manchmal vorgeworfen, die „Opferkarte“ zu spielen, wenn Frauen aufgrund von Kopftuchverboten geklagt haben, wurde ihnen vorgeworfen, sie nutzten den Rechtsstaat zur Durchsetzung ihrer egoistischen Ziele. Das macht einen mürbe und bindet viel Kraft, die man gern anders einsetzen würde. Deshalb war es eine unglaublich positive Erfahrung bei den CLAIM-Treffen so viele nicht-muslimische Akteure zu treffen, die sich gegen Antimuslimischen Rassismus einsetzen. Diese engagierten Menschen zu sehen, die selbst ja nicht betroffen sind, sich also quasi entspannt zurücklehnen könnten, die aber aufstehen, einfach, weil sie Ungerechtigkeit nicht ertragen können, das hat uns sehr viel Kraft, Mut und Energie gegeben. Herzlichen Dank dafür!

Das Interview mit Gabriele Boos-Niazy führte Theresa Singer für CLAIM.