CLAIM und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen sprachen mit dem Bundeskanzler und der Staatsministerin Alabali-Radovan über den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus
Weiterlesen
24. Juni 2024
Insgesamt 1.926 antimuslimische Vorfälle wurden im Rahmen des zivilgesellschaftlichen Lagebildes antimuslimischer Rassismus für das Jahr 2023 dokumentiert. Das ist ein Anstieg von rund 114 % im Vergleich zum Vorjahr – und eine alarmierende Bilanz. Darunter sind rund 90 Angriffe auf religiöse Einrichtungen wie Moscheen, Friedhöfe und muslimisch markierte Orte. Die registrierten Fälle zeigen: Antimuslimischer Rassismus zieht sich durch alle Lebensbereiche, sei es bei der Wohnungssuche, beim Arztbesuch oder in der Schule. Insbesondere nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 sind antimuslimische Vorfälle sprunghaft angestiegen. Auch Kinder werden verbal und körperlich angegriffen. Ein großer Teil der dokumentierten Vorfälle trifft vor allem muslimische Frauen und findet im Bildungsbereich sowie im öffentlichen Raum statt. Insgesamt ist von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle auszugehen.
„Der massive Anstieg antimuslimischer Übergriffe und Diskriminierungen im Jahr 2023 ist mehr als besorgniserregend. Gleichzeitig wird diese Bedrohungslage bisher kaum wahrgenommen. Für Muslim*innen und Menschen, die als solche gelesen werden, sind die Straße, der Bus oder die Moschee längst keine sicheren Orte mehr. Antimuslimischer Rassismus war noch nie so salonfähig wie heute und er kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Folgen für Betroffene sind oft gravierend und viele Menschen haben das Gefühl, sie sind der Solidarität nicht würdig,“ sagt Rima Hanano, Leitung von CLAIM. „Dieser Rassismus verbirgt sich häufig hinter Scheindebatten und wird so weitergetragen, normalisiert und reproduziert. Diskurse im politischen und medialen Raum zu Migration, Integration oder Sicherheit mit rassistischer Schlagseite schaffen ein Klima, das antimuslimischen Hass, Diskriminierungen und Gewalt schürt und legitimiert.“
CLAIM hat heute im Rahmen der Aktionswochen gegen antimuslimischen Rassismus (17. Juni – 1. Juli) mit dem bundesweiten zivilgesellschaftlichen Lagebild zu antimuslimischem Rassismus die Jahresbilanz antimuslimischer Übergriffe und Diskriminierungen in Deutschland für das Jahr 2023 veröffentlicht.
Die Jahresbilanz für 2023 ist alarmierend: Täglich finden im Schnitt mehr als fünf antimuslimische Übergriffe in Deutschland statt – darunter Diskriminierungen, verbale und körperliche Angriffe oder Sachbeschädigungen (2022: 2). Im Jahr 2023 wurden insgesamt 1.926 antimuslimische Vorfälle gemeldet und verifiziert, die allein den Offline-Bereich betreffen (2022: 898). Das ist ein Anstieg von rund 114 % im Vergleich zum Vorjahr – eine höchst alarmierende Entwicklung. Menschen werden zur Zielscheibe, weil sie muslimisch sind, oder weil man annimmt, sie seien muslimisch –aufgrund der Sprache, des Namens, der tatsächlichen oder zugeschriebenen Herkunft oder des Aussehens.
Bundesgesellschaftsministerin Lisa Paus: „Die Zunahme an antimuslimischen und antisemitischen Vorfällen ist dramatisch. Um Rassismus in unserer Gesellschaft einzudämmen, ist Präventionsarbeit von klein auf – also insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – unerlässlich. Mit unserem Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘ setzen wir gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen genau dort an und fördern zudem Community-basierte Monitorings. Für erfolgreiche Präventionsarbeit ist eine fundierte Datenbasis u. a. zum Ausmaß des antimuslimischen Rassismus in Deutschland unerlässlich. Für ihre tägliche und unermüdliche Arbeit für dieses zivilgesellschaftliche Monitoring und im Kompetenznetzwerk Islam-und Muslimfeindlichkeit danke ich CLAIM und ZEOK ausdrücklich.“
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan: „Antimuslimische Vorfälle geschehen nicht im luftleeren Raum. Ihnen gehen antimuslimische Diskurse und Narrative voraus, die ein Klima der Ausgrenzung erzeugen und Hetze und Gewalt begünstigen. Antimuslimischer Rassismus ist schlimmer Alltag für viel zu viele Menschen in unserem Land. Wir müssen jetzt alle Antirassist*innen sein, antimuslimischen Rassismus klar benennen, verurteilen und entgegenwirken – in Parlamenten und öffentlichen Debatten, am Arbeitsplatz, im Sportverein oder Freundeskreis.“
Insbesondere nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 nahmen neben antisemitischen Angriffen auch Angriffe auf Muslim*innen, muslimisch gelesene Personen und muslimisch markierte Orte bundesweit drastisch zu. Besonders alarmierend ist, dass erwachsene Täter*innen wiederholt Kinder und Frauen verbal als auch physisch attackiert haben.
Die Ergebnisse des Lagebildes decken sich mit dem enormen Anstieg islamfeindlicher Straftaten im vergangenen Jahr als auch mit repräsentativen Studien zu antimuslimischen Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen: Allein 1.464 islamfeindliche Straftaten wurden 2023 offiziell erfasst (KPMD-PMK Statistik, 2024, Fallzahlen 2023). Das ist ein Anstieg um 140 % im Vergleich zum Vorjahr, wobei von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist. Etwa jede*r Zweite in Deutschland stimmt muslimfeindlichen Aussagen zu (siehe Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz, 2023). Antimuslimische Ressentiments finden sich demnach in allen Bevölkerungsgruppen und bilden den Nährboden und ein Einfallstor für rechte Ideologien, welche wiederum auch den Antisemitismus, Rassismus gegen Schwarze Menschen und gegen Sinti*zze und Rom*nja erstarken lassen sowie zur Diskriminierung von LGBTQI*-Personen, von Armut betroffenen und behinderten Menschen oder Frauen beitragen. Gemäß einer Studie der Bertelsmann Stiftung (2023) erfahren 72 % der Muslim*innen in Deutschland rassistische Diskriminierung und gehören zu einer der am stärksten benachteiligten Gruppen in Deutschland. In einer nicht-repräsentativen Erhebung von CLAIM aus dem Jahr 2023 gaben 80 % der befragten muslimischen und muslimisch gelesenen Personen an, von Diskriminierungen und Übergriffen betroffen zu sein.
Erfasst wurden im Rahmen des Lagebildes Fälle mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung sowie Übergriffe unterhalb und oberhalb der Strafbarkeitsgrenze im Offline-Bereich. Antimuslimische Hassrede bspw. in sozialen Netzwerken wird im Rahmen des Lagebildes nicht erfasst. Da es an Expertise und an Meldestrukturen fehlt und Betroffene die Vorfälle oft aus Unwissen oder geringem Vertrauen nicht melden, ist von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle auszugehen.
Registriert wurden Fallzahlen von 17 Melde- und Beratungsstellen, bundesweite Fallmeldungen aus dem Meldeportal „I-Report“, bundesweite Fallzahlen aus der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) 2023 sowie aus Pressemeldungen der Polizei für das Jahr 2023.
Zentrale Ergebnisse zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus 2023:
Antimuslimische Vorfälle – Beispiele aus der Jahresbilanz 2023:
Zentrale Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus:
Der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) zeigt die derzeit großen Lücken in der Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus in Deutschland auf. Im Abschlussbericht wurden konkrete Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus an die Bundesregierung formuliert.
CLAIM hat in Ergänzung zum Bericht des UEM 12 Handlungsempfehlungen formuliert, um antimuslimischem Rassismus entgegenzuwirken und Betroffene zu stärken. Diese sind unter anderem:
Die 12 Handlungsempfehlungen sind der Publikation „Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus“ zu entnehmen. Das Lagebild ist hier (PDF) abrufbar oder auf Anfrage erhältlich.
Herausgeber des Lagebildes ist CLAIM in Kooperation mit ZEOK im Rahmen des Kompetenznetzwerks Islam- und Muslimfeindlichkeit. Gefördert wird das Lagebild vom BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ oder des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autor*innen die Verantwortung.
Über CLAIM: CLAIM vereint und vernetzt 51 muslimische und nichtmuslimische Akteure der Zivilgesellschaft und bildet eine breite gesellschaftliche Allianz gegen antimuslimischen Rassismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit. CLAIM wird getragen von Teilseiend e. V., gefördert u. a. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und zugleich die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Seit 2020 ist CLAIM Partner im Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Weitere Informationen zu CLAIM unter www.claim-allianz.de.
Für Presseanfragen wenden Sie sich gerne an:
CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit
Barbara Singh | Kommunikation
presse@claim-allianz.de
Friedrichstraße 206 | D- 10969 Berlin
T +49 30 2887 4567-7
Diese Website nutzt Cookies, um das Nutzerverhalten ihrer Nutzer zu analysieren. Mit der Nutzung der Seite erklärst du dich mit unserer Datenschutzvereinbarung einverstanden.