Pressemitteilung: Antimuslimische Übergriffe und Diskriminierung in Berlin 2024: Alarmierender Anstieg dokumentierter antimuslimischer Vorfälle in Berlin
Pressemitteilung: Antimuslimische Übergriffe und Diskriminierung in Berlin 2024: Alarmierender Anstieg dokumentierter antimuslimischer Vorfälle in Berlin
11. Juni 2025
CLAIM hat heute die Jahresbilanz antimuslimischer Vorfälle im Jahr 2024 für Berlin vorgestellt. Für 2024 zeigt sich ein alarmierendes Bild. Insgesamt wurden 644 antimuslimische Vorfälle dokumentiert – darunter Diskriminierungen, verbale Angriffe bis hin zu körperlichen Gewalttaten. Das entspricht einem Anstieg von fast 70 % im Vergleich zum Vorjahr (2023: 382). Im Durchschnitt ereignen sich damit nahezu zwei antimuslimische Vorfälle pro Tag in Berlin. Dokumentiert wurde eine Zunahme bei schweren Delikten: 2024 wurden mehr antimuslimische Körperverletzungen registriert als im Vorjahr. Beratungsstellen in Berlin stellen zudem ein hohes Maß an Misstrauen betroffener Menschen gegenüber staatlichen Institutionen aber auch gegenüber zivilgesellschaftlichen Stellen fest. Insgesamt muss aufgrund zivilgesellschaftlicher und staatlicher Erfassungslücken von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen werden.

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„Die Jahresbilanz zeigt, dass antimuslimische Übergriffe und Diskriminierungen in Berlin an der Tagesordnung sind. Der massive Anstieg dokumentierter Fälle um fast 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und die Enthemmung gegenüber betroffenen Menschen müssen als Weckruf verstanden und dürfen nicht länger hingenommen werden”, sagt Rima Hanano, Co-Geschäftsführerin von CLAIM. “Für die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und den Schutz von betroffenen Menschen in Berlin sind jetzt entschiedenes Handeln und eine klare Positionierung notwendig. Insbesondere in Schulen aber auch in der Verwaltung und in Behörden insgesamt ist eine stärkere Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus notwendig. Darüber hinaus müssen Beratungsangebote für Betroffene dauerhaft abgesichert werden und Defizite bei der Erfassung und Strafverfolgung behoben werden. Das wären wichtige erste Schritt, um das beschädigte Vertrauen von Betroffenen wieder herzustellen.“
Cansel Kiziltepe (SPD), Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung: „Berlin steht für eine offene und vielfältige Gesellschaft. Doch wir erleben leider auch hier antimuslimischen Rassismus. Wir müssen ihn sichtbar machen und dürfen ihn nicht verschweigen. Denn nur so können wir ihn erfolgreich bekämpfen und uns vor ihm schützen. Monitoringstellen wie Report! leisten dafür eine unverzichtbare Arbeit. Diese Dokumentationen bilden die Grundlage für die Politik und die Zivilgesellschaft, um noch besser zu handeln und betroffene Menschen wirksam schützen können. Die aktuelle Jahresbilanz von CLAIM zeigt ein zunehmend vergiftetes gesellschaftliches Klima. Antimuslimische Ressentiments werden genutzt, um unsere Gesellschaft zu spalten. Alle Demokrat*innen sind aufgefordert, noch mehr dagegen zu tun, damit unsere Gesellschaft nicht verroht. Wir stehen allen Menschen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind, solidarisch zur Seite.“
Ein großer Teil der dokumentierten Vorfälle betrifft muslimische Frauen* (64 %) und findet im Bildungsbereich (34,9 %) sowie im öffentlichen Raum (19 %) statt. Erfasst wurden 285 Diskriminierungen, 248 verbale Angriffe sowie 91 Fälle von verletzendem Verhalten – dazu gehören unter anderem Körperverletzungen sowie Sachbeschädigungen.
Dabei ereignen sich antimuslimische Vorfälle nicht im luftleeren Raum: Insbesondere nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 sind neben antisemitischen Vorfällen gleichzeitig antimuslimische Vorfälle sprunghaft angestiegen. Dokumentiert wurden rund 80 Fälle mit Palästina-Bezug. Häufig ist ein direkter Bezug zu den geführten Debatten erkennbar. Der Anstieg von antimuslimischem Rassismus hat gravierende Auswirkungen auf Betroffene, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Berlin und die Demokratie insgesamt.
„Als Beratungsstelle im Antidiskriminierungsbereich verzeichnen wir in den letzten zwei Jahren einen Anstieg der Fälle antimuslimischen Rassismus um 65 %. Besonders auffällig ist, dass hitzige öffentliche Debatten über das Migrationsrecht zunehmend in konkrete Diskriminierung umschlagen – ein Trend, der das Sicherheitsgefühl vieler als muslimisch gelesener Menschen massiv beeinträchtigt. Auch wir als Organisation waren im vergangenen Jahr dreimal Ziel diskriminierender Angriffe. Diese Entwicklung zeigt, wie dringend Politik und Gesellschaft gefordert sind, klar gegen antimuslimischen Rassismus Stellung zu beziehen“, so Ioannis Demosthenous vom ADNB Berlin.
Die registrierten Fälle zeigen: Antimuslimischer Rassismus ist institutionell und strukturell verankert und zieht sich durch alle Lebensbereiche, sei es bei der Wohnungssuche, beim Arztbesuch oder in der Schule. Die Beobachtungen der Jahresbilanz decken sich mit Ergebnissen repräsentativer Studien: Demnach nehmen nicht nur antimuslimische Einstellungen in Berlin zu. 20 % der Berliner Bevölkerung weisen ein geschlossen antimuslimisches, rassistisches Denken auf, 48 % lehnen den Islam ab (Berlin Monitor 2023). Etwa jede zweite muslimische Person berichtet bundesweit von rassistischer Diskriminierung bei Behördengängen (DeZIM 2023). 39 % der muslimischen Männer erleben rassistische Diskriminierung bei der Polizei (DeZIM 2023). Nahezu 70 % der befragten Muslim*innen geben an, rassistische Diskriminierung in Deutschland erfahren zu haben (Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2024).
Zentrale Ergebnisse der Jahresbilanz antimuslimischer Vorfälle in Berlin 2024:
- Alarmierender Anstieg dokumentierter antimuslimischer Vorfälle in Berlin: 2024 wurden 644 antimuslimische Vorfälle in Berlin dokumentiert (2023: 382). Das entspricht einem Anstieg von fast 70 % (68.59 %) im Vergleich zum Vorjahr. Täglich ereigneten sich im Jahr 2024 damit im Durchschnitt rund 2 antimuslimische Vorfälle.
- Zur Zielscheibe von Übergriffen und Diskriminierungen wurden 2024 vor allem Muslim*innen und Menschen, die als Muslim*innen wahrgenommen werden. In den Fällen, in denen das Geschlecht bekannt ist, sind vor allem Frauen betroffen (64 %).
- Diskriminierungen machen mit 285 registrierten Fällen den größten Anteil aus (45,7%), gefolgt von 248 verbalen Angriffen (39,7 %) sowie von 91 dokumentierten Fällen verletzenden Verhaltens (14,6 %). In 20 Fällen ist die Art des Vorfalls unbekannt.
- Insgesamt wurden 48 Körperverletzungen, davon 5 gefährliche Körperverletzungen, 24 Sachbeschädigungen sowie 19 sonstige Delikte dokumentiert, unter anderem Erpressung. Damit wurden 2024 insgesamt mehr Körperverletzungen dokumentiert als im Vorjahr (2023: 36).
- Nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sind neben antisemitischen Vorfällen gleichzeitig antimuslimische Vorfälle in Berlin sprunghaft angestiegen. 2024 wurden insgesamt 80 Fälle von antimuslimischem Rassismus mit Palästina-Bezug dokumentiert – darunter 17 Körperverletzungen, 5 Sachbeschädigungen, 3 Bedrohungen/Nötigungen, 8 (verhetzende) Beleidigungen, 3 Verleumdungen sowie 44 Diskriminierungen.
- Insgesamt muss von einem hohen Dunkelfeld antimuslimischer Vorfälle ausgegangen werden, da antimuslimischer Rassismus häufig nicht erkannt wird und/oder Vorfälle nicht gemeldet werden.
Zentrale Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus:
Um dem alarmierenden Anstieg von antimuslimischem Rassismus in Berlin entgegenzuwirken und Betroffene zu schützen, sind umfangreiche Maßnahmen in allen gesellschaftlichen Bereichen notwendig. Die folgenden Handlungsempfehlungen sind als Ergänzung zu den Handlungsempfehlungen der Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus Berlin zu sehen.
Folgende Handlungsempfehlungen werden formuliert:
- Die Datenbasis zur wirksamen Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus verbessern – hierfür sind eine bessere staatliche und zivilgesellschaftliche Erfassung, sowie eine bessere Aufklärung und Strafverfolgung notwendig
- Beratung für Betroffene von antimuslimischem Rassismus sicherstellen – Beratungs- und Anlaufstellen zu antimuslimischem Rassismus muss in Berlin ausgebaut und dauerhaft abgesichert werden. Bestehende Beratungs- und Meldestrukturen sind zu antimuslimischem Rassismus zu qualifizieren.3. Unabhängige Informations- und Beschwerdestrukturen einrichten – Unabhängige Beschwerdestrukturen/-möglichkeiten sind unter anderem für Hochschulen, Berufsschulen, Schulen und für die Polizei einzurichten – ausgestattet mit ausreichenden Befugnissen.4. Rassismuskritische Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu antimuslimischem Rassismus verpflichtend und regelmäßig einführen – für alle Berufsgruppen, die sozial, soziopolitisch, gesellschaftlich und biografisch einflussreich sind, und das in allen staatlichen Einrichtungen (zum Beispiel Schulen, Kitas, Sicherheitsbehörden, kommunalen Verwaltungen, Medienhäusern, Kultureinrichtungen, Justiz, Justizvollzug, Gesundheitssystem), um insbesondere für antimuslimischen Rassismus zu sensibilisieren.5. Überprüfung und Abschaffung diskriminierender Gesetzgebungen und Praktiken – Diskriminierende Gesetzgebungen wie das Berliner Neutralitätsgesetz sind abzuschaffen.6. Empowerment und Schutz von Betroffenen gewährleisten – um u.a. Zugänge zu Unterstützungsstrukturen zu schaffen7. Einführung des 1. Juli als Tag gegen antimuslimischen Rassismus.
Die ausführlichen 7 Handlungsempfehlungen sind der „Jahresbilanz antimuslimischer Vorfälle in Berlin 2024“ zu entnehmen.
Über Report! Berlin: Die Melde- und Informationsstelle Report! Berlin dokumentiert antimuslimische Diskriminierungen und Übergriffe im Land Berlin, um antimuslimischen Rassismus in seinen intersektionalen Erscheinungsformen und Dimensionen sichtbar zu machen. Darüber hinaus qualifizieren wir Beratungs-, Anlauf- und Meldestellen in Berlin und stärken Community-Strukturen. Report! Berlin ist ein Projekt von CLAIM und wird seit Januar 2024 von der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung im Rahmen des Berliner Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) gefördert. Weitere Informationen unter www.report-amr-berlin.de
Über CLAIM: CLAIM vereint und vernetzt über 50 muslimische und nichtmuslimische Akteure der Zivilgesellschaft und bildet eine breite gesellschaftliche Allianz gegen antimuslimischen Rassismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit. CLAIM wird unter anderem gefördert vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ sowie durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und zugleich die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Weitere Informationen unter www.claim-allianz.de